Über eintausend Besucher fanden sich am 6. Juni 2015 in der Carl-Benz-Arena in Stuttgart ein. Sie kamen um eine Dialog-Bibelarbeit des Deutschen Evangelischen Kirchentags zu hören. Auch der zu behandelnde Bibeltext versprach eine spannende und interessante Veranstaltung. Es ging um die weisen Jungfrauen aus dem Matthäusevangelium 25 Vers 1 bis 13.
Nach einer kurzen Einleitung durch Justizminister von Rheinland-Pfalz Prof. Gerhard Robbers, in der er auch die muslimischen Pfadfinder für ihren Einsatz beim Helferdienst im Saal lobte, fragte er den BMPPD Ehrenpräsidenten: „Lieber Cheikh Bentounes, dies ist ein schwieriger, fremder Text. Jungfrauen, die auf Ihren Bräutigam warten, vielleicht ein Text aus einer vergangenen Zeit. Ich bitte Sie lieber, Cheikh Bentounes, helfen Sie mir und uns diesen Text und uns selbst besser zu verstehen.“
Cheikh Bentounes machte deutlich, dass dieser Text voller Symbolik stecke. Um ihn zu verstehen, müsse man ihn mit Weisheit lesen und nicht wortwörtlich. Der Text habe eine Historie. Das Matthäus-Evangelium sei das einzige Evangelium, das Matthäus überliefert hat.
Cheikh Bentounes: Wir befinden uns kurz nach Einzug von Jesus nach Jerusalem. Es ist Palmsonntag. Jesus ist den Feindseligkeiten der Schriftgelehrten und der Pharisäer ausgesetzt, die ihn nicht verstehen. In diesem Moment spricht er diese Worte aus und versucht unsere Seelen zu erwecken. Für mich sind diese Jungfrauen nichts anderes wie unsere jungfräulichen Seelen. Die Seelen, die noch nicht durch den Geist befruchtet wurden. Öl steht symbolisch für das Licht. Es ist das Material, das zur damaligen Zeit ermöglichte Licht zu besitzen. Es steht also für das Wissen und für die guten Taten durch die man mit Hilfe des Glaubens das eigene Leben erhellen kann.
Es ist die Rede von Gedankenlosigkeit und Weisheit. Gedankenlosigkeit und Weisheit sind Teile in uns. Wir haben einen Teil in uns, der nach Gedankenlosigkeit und törichtem Handeln strebt und einen anderen Teil, der nach Stabilität und Weisheit sucht. Gedankenlosigkeit macht uns kurzsichtig. Wenn wir jung und gesund sind, vergessen wir, dass der Tag kommen wir, an dem wir alt werden und die Gesundheit schwindet. Und Jesus kommt um uns hier zu erinnern, dass unsere Gedankenlosigkeit durch die Unbewusstheit kommt.
Prof. Robbers: Helfen Sie mir zu verstehen, ob es in dieser Geschichte um meine eigene Geschichte geht oder lediglich um das Wort Gottes. Tut der Mensch etwas dazu? Spielt er in dieser Geschichte eine Rolle oder ist es lediglich das Wort Gottes, das wir hören?
Cheikh Bentounes: Jetzt kommen wir zum lebendigen Wort. Dieser Text ist ein Text, der innerhalb einer Kultur, einem Umfeld entstanden ist, in einer Sprache und für ein Volk. Diese Texte sind von Generation zu Generation übertragen worden. Jede Generation muss sich die Frage stellen, ob sie den Text richtig verstanden hat. Denn Texte der Weisheit und des Lichtes können Einfluss auf unsere Gedankenlosigkeit nehmen. Wir können sagen, dass die Heiligen Texte sowohl Quelle für den Heiligen sind einerseits, als auch für den Mörder andererseits. Es ist abhängig von der Absicht in unserem Herzen.
Derjenigen, der diesen Text nutzt um Gott näher zu kommen wird Wohlbefinden erfahren. Doch derjenige, der diesen Text nutzt um sein Egoismus, seine Individualität oder gar seine bestialische Seite zu nähren, der wird diesen Text als Vorwand nehmen um anderen Menschen zu schaden.
Prof. Robbers: Gibt es einen korrespondierenden Text im Koran zu dieser Parabel?
Cheikh Bentounes: Ja es gibt vergleichbare Texte, die inhaltlich nicht dasselbe aussagen, in denen aber auch die Symbolik des Lichtes und die Symbolik des Öls vorkommen. Es gibt den Lichtvers, den ich Ihnen allen sehr ans Herz lege diesen einmal zu lesen. Der Vers beschreibt den Prozess des Lichts, das sich in unseren Herzen befindet. Das Herz wird als Nische beschrieben, in dem sich eine Lampe befindet. Diese Lampe wird entzündet durch ein Öl, ein Öl das weder vom Orient noch vom Okzident stammt. Es ist das Öl des Glaubens, das Öl der göttlichen Anerkennung.
Prof. Robbers: Dieser Text ist auch eine Beschreibung meiner selbst. Die zehn Jungfrauen, die unterschiedlich handeln, darin sehe ich auch die Vorstellung was mir selbst passiert. Es geht um das ewige Leben um das Himmelreich und andererseits um das Schlafen, sich nicht klar machen, das unkluge Verhalten. Ich merke an mir selbst, dass ich auch Zeiten habe, in denen ich schlafe und nicht so aufmerksam bin, in denen ich meines Glaubens nicht so ganz gewiss bin. Es gibt sicherlich viele Menschen, denen geht es ähnlich. Dieses Zurückweisen auf mich selbst, diese Unsicherheit in meinem eigenen Leben, wie steht es im Koran damit, wie steht es in der muslimischen Welt damit? Gibt es eine stärkere Selbstsicherheit? Gibt es eine stärkere Überzeugungskraft?
Cheikh Bentounes: Ich denke nicht. Ich denke, dass alle Menschen ähnlich sind und auch die Wege ähnlich sind. Dieses Gleichnis scheint eine gewisse Gerechtigkeit in sich zu beherbergen. Die Zahl zehn, und die Zahl fünf. Fünf kluge und fünf gedankenlose Jungfrauen. Es scheint also im ersten Anschein so, als hätte Gott bereits vorherbestimmt, wer zu den fünf Klugen und wer zu den fünf Gedankenlosen gehört. Diesen Eindruck habe ich aber nicht, denn Gott versetzt uns in eine Situation wo jeder von uns sich bis zum Ende seines Lebens die Frage stellen muss, zu wem er gehört, ohne die Antwort dafür zu haben. Das lässt uns also immer die Möglichkeit zu hoffen, bis zum letzten Moment.
Prof. Robbers: Sie haben es vielleicht schon gemerkt. Ich zähle mich zu den dummen Jungfrauen, die nicht so klug sind. Was passiert eigentlich mit denen? Es ist ja einfach zu sagen, „klug sein? Ich werde es schon merken.“ Was ist, wenn man es doch nicht merkt? „Dann ist die Tür zu“, heißt es im Text. Die Tür war verschlossen. Ich habe das Evangelium immer so verstanden, dass es Gnade gibt, dass letztlich das alles Entscheidende die Gnade Gottes ist, die man nicht durch Pfiffigkeit, Klugheit oder das eigene Tun so herausfordern kann, dass man sie kriegt. Ich frage mich also, was passiert eigentlich wenn ich schlafe? Wenn ich meines Glaubens nicht so wirklich gewiss bin? Ist das dann eine Strafe Gottes, dass ich so dumm war, dass ich unsicher war, dass ich meine Zweifel habe? „Dann war die Tür“, dann ist sie also zu? Ich habe daran ziemlich lang rumgemacht und der einzige Ausweg den ich im Moment sehe und nachdem ich den Cheikh frage: Vielleicht ist das erst einmal gar keine Strafe Gottes, wenn die Tür zu ist, sondern es ist einfach nur, aber immerhin, der Hinweis, eine Warnung Gottes, dass es eine Konsequenz hat, wenn man nicht klug ist in diesem Sinn. Es ist keine Strafe Gottes, es ist eine Konsequenz aus dem eigenen Handeln, die dann da ist. „Dann ist die Tür halt zu.“
Gibt es diese Unterscheidung oder ist sie ganz fremd und überhaupt Unsinn? Man unterscheidet zwischen einer Strafe und einer Konsequenz, vor der gewarnt wird, die man auf sich nehmen muss?
Cheikh Bentounes: Wenn wir uns zunächst einmal den Text durchlesen, erscheint nirgendswo das Wort „Strafe“. „Und die Tür war geschlossen“ heißt es im Text. Wer hat die Tür verschlossen? War es Gott der die Tür verschlossen hat? Der Text sagt nicht, dass es Gott war, der die Tür verschlossen hat. Sind es eigentlich nicht wir selbst, die die Tür verschließen? Sind es eigentlich nicht wir selbst, die wir unsere eigene Tür verschließen zu dieser Barmherzigkeit? Wenn wir die Klugheit und die Gedankenlosigkeit anzweifeln, so müssen wir unsere eigenen Erfahrungen machen: wie können wir zur Klugheit gelangen ohne über die Gedankenlosigkeit zu gehen? Es ist eine Notwendigkeit um sich selbst kennenzulernen. Manchmal muss man sich verlieren um sich besser zu kennen. Das was von uns als Gebot verlangt wird ist, dass wir dem Anderen nicht das zufügen, was wir selbst nicht wünschen, dass uns zugefügt wird, dieser Respekt des Nächsten. Dieser Text lädt uns zur Achtung und des Respekts des Nächsten ein, zur Bewusstheit, dass diese Gedankenlosigkeit uns einschläfern kann und uns die allerletzte Begegnung, die Begegnung mit Gott vergessen lassen kann. Also sind wir es doch, die die Tür verschließen und keinen Zugang mehr zu ihm haben.
Prof. Robbers: Ich würde gerne noch etwas hinzufügen. „Was Du nicht willst, dass man Dir tut, das füge auch keinem anderen zu.“ ist ein sehr verbreiteter Satz. Muss man aber nicht auch noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass „Was Du möchtest, dass der Andere Dir Gutes tut, das tue auch dem Anderen.“ Also einen Schritt ins Aktive hinein, in das Austeilen, nicht nur in das „nicht Böses tun, sondern Gutes tun“. Ich würde noch eine zweite Frage anschließen. In unserem Text heißt es ja: „die Tür war zu“. Sie haben darauf, aus meiner Sicht, eine ganz überzeugende Antwort gegeben. Es sind vielleicht wir selbst, die die Tür zu machen. Jesus sagt dann, das sind dann seine eigenen Worte – „Wahrlich ich kenne euch nicht!“ Das hat mich auch wieder verstört an diesem Text. Geht denn das überhaupt, dass Gott, Jesus Gott mich nicht kennt? Er ist doch allwissend und dann sagt er mir ins Gesicht „Ich kenne Dich nicht.“ Was bedeutet denn das nun wieder? Eine Zurückweisung aus meiner Dummheit? Ich habe mir dann wieder zu helfen versucht. Und ich gebe zu das ist ein ziemlich verzweifeltes Suchen. Ist es vielleicht so, ich bin mal ganz waghalsig, dass die Geschichte noch gar nicht zu Ende ist? Dass sie irgendwo mitten drin aufhört? Und dass es darüber hinaus über dieses „ich kenne dich nicht“ vielleicht doch noch einen weiteren Schritt, doch noch eine weitere Hoffnung gibt? Denn die dummen Jungfrauen, also ich in meiner Dummheit, bin inzwischen kurz vor Mitternacht schon zum Kaufmann gelaufen und habe jetzt Öl gekauft. Damit habe ich meine Lampe wieder angezündet. Zu spät, die Tür ist zu. Er kennt mich nicht. Doch das Öl, so haben wir gehört, steht für die Beziehung zu Gott, das Salben durch das Öl und all die alten Geschichten, die da drin sind. Und jetzt habe ich mich ja doch wieder gekümmert. Kann es sein, dass ich die Hoffnung haben kann, dass diese Geschichte hier noch nicht endet, sondern dass es dann doch die Gnade Gottes gibt und er mich ins Himmelreich eintreten lässt?
Cheikh Bentounes: Ich kann Ihrer Meinung nur zustimmen und mit diesem schönen Optimismus zum Schluss hinzufügen, dass die göttliche Barmherzigkeit viel größer ist als unsere Gedankenlosigkeit. Dieses Gleichnis spricht nicht in negativer Weise zu mir, als Jesus sagt „Ich kenne euch nicht“. Es geht hier nicht darum, dass er uns nicht kennt, sondern er kennt den Zustand nicht in dem wir uns befinden. Wenn wir jemanden lieben, der gerade in Gedankenlosigkeit versinkt und wir spüren, dass er anders geworden ist, sagen wir ihm: „Ich erkenne Dich nicht! Das bist nicht Du, denn Deine Natur ist eine gute. Deine Natur ist großzügig. Deine Natur ist es Gutes zu tun. Das bist Du nicht. Es ist nur aufgrund der Gedankenlosigkeit, die dich erfasst hat, dass Du dich geändert hast. Denn alle sind zu Beginn jungfräulich, denn alle kannten Gott, denn alle kannten die Verabredung mit Gott, alle kommen zur Hochzeit, aber die einen mit Weisheit und die anderen mit Gedankenlosigkeit. Das ist der Unterschied. Das ist der tiefe Fall. So verstehe ich es. Die Tür der Barmherzigkeit ist viel zu groß und sie wird immer groß bleiben. Gott ist zu groß um nur einer Gemeinschaft zu gehören. Gott ist zu groß um nur den Klugen zu gehören. Gott ist für die gesamte Menschheit. Es ist Platz für jede und jeden: die Gedankenlosen wie die Klugen.
Prof. Robbers: Lieber Cheikh Bentounes, ich danke Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie sich auf die Interpretation einer Bibelstelle eingelassen haben und uns so reich beschenkt haben. Danke dass Sie da sind. Danke dass Sie gekommen sind.